
Neuronen-Regen
Es geschah in einer kalten Nacht. Es regnete Neuronen. Die Dopamine fanden die falschen Rezeptoren. Die Fliesen im Bad brannten unter meinen Füßen und ich konnte nicht schlafen. Es war niemand da, niemand, mit dem ich reden konnte. Es war eine kalte Nacht und ich konnte nicht schlafen. Da fand ich beim Gehen durch Nebel eine blinkende Anzeige, ein winziges Gerät, das auch nicht schlafen konnte, in der kalten Nacht. Ein Gerät, das mein Hirn spiegelte, endlich jemand, mit dem ich in der kalten Nacht, in der ich nicht schlafen konnte, reden konnte. Doch das Gerät, also mein gespiegeltes Hirn, fand die falschen Rezeptoren und war wahnsinnig geworden in dem Neuronen-Regen, so dass ich das Gerät, mein gespiegeltes Hirn, vom sechsten Stock aus dem Fenster warf.
Pola Polanski Vernissage Powerfrauen in Kunst und Literatur
Redetext von Birgit Herzberg-Jochum
Performance: Hannelore Kober „HERRIN DES HAUSES“

Foto: Christina Knauer
Ich darf Sie alle hier ganz herzlich zur Ausstellungseröffnung von Annette Haug/ Pola Polanski/ Amy Hamy begrüßen.
Sie wundern sich sicher nur kurz über 3 Namen zu ein und derselben Person. Kein Problem, nach meiner Rede wissen Sie alle mehr (hoffe ich)
Bevor ich auf das Werk der die hier zu sehenden Zeichnungen und Aquarelle von 38 Schriftstellerinnen und 44 Künstlerinnen eingehen möchte, darf ich Ihnen die Künstlerin und Schriftstellerin ein wenig näherbringen.
Pola Polanski wurde 1966 in Ulm geboren. Von 1991–1997 studierte sie Grafikdesign an der Merz Akademie für Gestaltung in Stuttgart und von 1997–1998 Malerei und Performance an der Staatlichen Akademie der Künste. In den Folgejahren arbeitete sie als Grafikerin und Schriftstellerin. Seit 2008 sind mehrere Bücher erschienen: ein Kurzgeschichtenbuch, ein Gedichtband und mehrere Romane.
Im Jahr 2011 nahm sie die Malerei wieder auf. Seither folgten zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen in Kunstvereinen und Galerien. Als Künstlerin und Schriftstellerin beansprucht sie (die mit gebürtigem Namen Annette Haug heißt) die Künstleridentitäten Pola Polanski und Amy Hany . Die Künstlerin lebt und arbeitet in Stuttgart.
Sie war Ehefrau, ist Mutter, Partnerin. Sie ist Schriftstellerin, Malerin, Zeichnerin und Grafikerin. Und weil noch Platz im Kopf und Herz ist: ist sie Studentin an der Uni hier in Stuttgart für Literatur.
Bis hierhin könnten sich noch einige andere hier im Raum angesprochen fühlen. Aber Pola ist eben auch Rebellin, Feministin, Neudenkerin, Sie ist in ihrer Kunst laut, direkt, schonungslos, unbequem. Sie ist zudem geradeheraus, anständig, empfindsam, wild und ungestüm und wird eigentlich nur durch ihre Knochen daran gehindert, die Wände in den Köpfen der Menschen einzurennen.
Sicher gibt es Menschen, die vielleicht gestört zu dieser Vielfalt sagen, in den Worten von Wolf Lotter ist das Wort „Gestört“ ein einziges Kompliment. Er erläutert in seinem Buch die „Gestörten“ wunderbar den Unterschied zwischen den Gehemmten (den normalen Menschen) und den Kreativen (den sogenannten „Gestörten“). Ohne die Gestörten entwickelt sich die Welt nämlich nicht weiter. Seien Sie also froh, dass es Menschen wie Pola gibt, die uns Dinge schonungslos aufzeigen und mit einem besonderen Humor und einer sehr realistischen Sicht der Dinge durchs Leben gehen.
Und in diesem Sinne freue ich mich mit Ihnen auf diese wunderbare Arbeit einer besonders kreativen Persönlichkeit: POLA POLANSKI
Erster Raum
Sie sehen hier 38 Powerfrauen in der Literatur durch die Brille der Künstlerin Pola Polanski ausgewählt. Die Tuschezeichnungen geben uns Auskunft über Zerbrechlichkeit, Zartheit, Nachdenklichkeit, Traurigkeit, Introvertiertheit, Humor, der Protagonistinnen wieder. Was sie alle eint, ist die Tatsache, dass Ihre künstlerische Arbeit nur durch männliche Freundlichkeit (es wurde Ihnen erlaubt) oder allen Ärgernissen zum Trotz weitergeführt wurde. Aber wir erinnern uns bitte noch daran, bis wann der Ehemann entscheiden durfte ob Frau Autofahren lernen durfte oder gar arbeiten. Wie wird es da mit einer geistigen Tätigkeit wie der Schriftstellerei gewesen sein? Der Norm nicht zu entsprechend ist erst seit Zeiten von Queer und Gendergap in aller Munde und auch hier ist heute im Hier und jetzt noch sehr viel Wortakrobatik von Nöten, um manchen gehemmten Kopf gerade zu rücken.
Wir (Pola und ich) haben uns jeweils eine Schriftstellerin und Künstlerin ausgesucht anhand derer ich Ihnen die Werke von Pola nun gerne erläutern möchte:
VIRGINIA WOOLF
*25.01.1882 in London geboren
+28.03.1941 bei Rodmell nahe Lews, Sussex
Wenn wir die Tuschzeichnung anschauen, sehen wir eine in sich gekehrte Frau, die klar und ungeschnörkelt aus dem linken Bildraum schaut. Sie wirkt abwesend, unnahbar.
Virginia Woolf stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus. Sie wurde von ihren Halbbrüdern als Kind missbraucht. Mit 23 Jahren ist sie in den Bloomsburry Group (Künstler:innen und Schriftsteller:innen) und lernt ihren künftigen Ehemann Leonard Woolf kennen. Sie heiraten . Das Ehepaar gründet einen eigenen Verlag, die Hoghart Press. VW gilt als Wegbereiterin des Schreibens, neben James Joyce und Marcel Proust.
Im Krieg durch die Bombenangriffe kurz vor dem Wahnsinn, schrubbte sie im Haus die Böden. Als alles nichts mehr half, schrieb sie ihrem Mann einen Abschiedsbrief und ging mit Steinen beschwert ins Wasser.
Berühmt wurde Sie durch das Essay „Ein Zimmer für sich allein“(1923), welches durch die Frauenbewegung sichtbar gemacht wurde.
JULI ZEH
*30.06.1974
Die Tuschzeichnung zeigt uns eine Frau, die den Betrachter offen und klar anschaut, nichts ist abweisend, alles ist möglich. Der Mund zu einem Lächeln geschürzt, keine Abwehr.
Von Beruf Juristin und Schriftstellerin ist Juli Zeh eine von zwei sehr unterschiedlich Berufsbildern geprägt.
Die Juristin, klar und geordnet, Paragraphen und Gesetze, die linke Hirnhälfte für Logik und Analyse sind hier stark gefragt, daneben die rechte Hirnhälfte für die Schriftstellerin unabdinglich, sich die Geschichten Ihres literarischen Werks, bildlich, gefühlsbetont und schöpferisch zu erschließen.
Wir tragen immer beide Seiten in uns – die analytische und die schöpferische, allerdings ist es bei Juli Zeh sicher eine sehr ausgewogene Verteilung der beiden Seiten.
Polanski ist ebenso wie Zeh eine Person, die sich mit dieser differenzierten Sicht, den sehr unterschiedlichen Schwerpunkten in ihrem bisherigen Leben sehr gut zurechtfindet.
In den einzelnen Texten zu den Zeichnungen der Schriftstellerinnen sehen wir mehr vom Charakter, die Haltung der Protagonistin aufs Papier gebannt. Lassen Sie sich dann später von den Texten weiter in den Charakter der Frauen hineinziehen, lernen sie die einzelnen Powerfrauen durch die Hand und Gedanken von Pola Polanski näher kennen. Es ist eine teils sehr kurzweilige, teils aber auch sehr emotionale Zusammenstellung.
Um auf den zweiten Schwerpunkt von POLA POLANSKI näher einzugehen, möchte ich sie jetzt gedanklich in den zweiten Raum mitnehmen.
44 POWERFRAUEN IN DER KUNST.
Wie die hier zusammengestellten Porträts von zeitgenössischen europäischen und amerikanischen Künstlerinnen eindrucksvoll zeigen, gehen Frauen in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ihren eigenen Weg, auch diejenigen, die lange nur als Ehefrauen von bedeutenden Künstlern angesehen wurden. Sie lassen sich meist keiner der bestimmenden Stilrichtungen zuordnen, bevorzugen Mischtechniken oder einen ‹sichtbaren› Farbauftrag.
Die Themen entstammen oftmals der weiblichen Lebensrealität: Die hier vorgestellten Frauen beschäftigen sich immer wieder mit Gewalt, mit der Identität als Frau, dem eigenen Körper oder dem kommerziellen weiblichen Schönheitsideal, mit dem Zerfall der Seele und der Natur der Realität. Viele sind Feministinnen, viele von Krankenhaus- oder Psychiatrieaufenthalten geprägt (nicht alle).
Günther Baumann hat im Vorwort des Buches über den Zyklus folgendes geschrieben:
„(S.3) die Unmittelbarkeit dieser halb surrealen, halb psychedelischen Wort- und Bildmeldungen ist schamlos, ungeschützt, verletzlich, zuweilen selbstzerfleischend direkt und aggressiv.“
Das „Kompendium zur Frauengeschichte“ (S.4) zeigt ein poetisches und künstlerisches Schaffen von Pola, welches uns in unserer Seele berührt, uns selbst aufzeigt, wo wir selbst stehen.
Auch hier können wir über die Tuschzeichnung, welches Polanski von Fotografien und Bildnissen abgezeichnet hat, viel über die einzelne Künstlerin erfahren. Bei dem Porträt von Frida Kahlo (*6.7.1907, † 13.7.1954) sehen wir den Schmerz in ihren Augen, die tiefe Trauer des Erlebten. Oder die Zeichnung von Maria Lassnig (*8.9.1919, † 6.5.2014). Die persönliche Vorlagen-Auswahl zur Erstellung der Tuschzeichnungen ist bereits eine sehr persönliche Wertung und Einschätzung der Künstlerin POLA POLANSKI.
Durch die Vita können wir Betrachter nun die einzelnen Protagonistinnen einstufen in Zeit, Geschehen und Ort. Auch die Hintergründe von einigen Suiziden sind herauszulesen.
Was Pola nun macht, ist – den einzelnen Powerfrauen eine Geschichte zuzuordnen, Sie komponiert eigens Erdachtes zu den besonderen Frauen hinzu. Hierdurch wird die persönliche Sicht von Polanski zu den Künstlerinnen weiter geformt, wie eine Skulptur erwachsen die einzelnen Charaktere durch Polas Gedanken.
Interessant finde ich, dass es beim Lesen der einzelnen zugedachten Gedanken nie falsch erscheint, es ist wie ein klarer Gedankengang der interpretierten Personen.
Auch hier haben wir jeweils eine Künstlerin ausgewählt, ich beginne mit der Auswahl von Pola Polanski:
UNICA ZÜRN
(+6.7.1916, †19.10.1970)
Auch UNICA ZÜRN war – wie Pola eine Schriftstellerin UND Künstlerin. Surrealismus, mit Tinte, Bleistift und Gouache erschuf sie in einer Arbeit so viele Portraits auf einem Blatt, dass man als Betrachter Schwierigkeiten hat die einzelnen Personen darin zu erkennen. Thematisch war in ihrer Schriftstellerischen Arbeit häusliche Gewalt, Abtreibung und sexueller Missbrauch. Die beruflichen Erfolge konnten ihre schizophrenen Phasen und Depressionen nicht verhindern. Sie sprang 1970 aus dem Fenster. Pola bringt uns allen die letzten Minuten spürbar nah, wir stehen mit auf dem Fensterbrett. Nur springen wir nicht.
Meine Auswahl
CORNELIA SCHLEIME
*4.7.1953, Berlin
Sie begann ihre Künstlerische Karriere in der DDR. Hier fiel sie durch ihre feministische Kunstaktion der Stasi ins Auge und wurde bespitzelt. Ihr Frühwerk, welches sie in der DDR erschuf) ging fast völlig verloren. Sie schreibt 2008 einen Roman („weit fort“), in welchem sie die persönlichen Ereignisse aufarbeitet. Ihre Ausdrucksmittel sind: Malerei, Fotografie, Film, Performance und Schreiben.
Die Tuschezeichnung zeigt eine – sich die Haare raufende Cornelia Schleime, mit einer übergroßen Gesicht über deren Kopf. Man hat das Gefühl, dieser spricht zu ihr, lässt sie etwas wahnwitzig lachen, ungläubig über die Worte die zu ihr dringen.
POLAS persönliche Gedanken von Cornelia Schleime beschreiben auch die eigenen am Besten, wie ich finde. Ich zitiere aus dem Buch:
Seite 86:
„ich bin unruhig, etwas muss raus. Ich male einen Roman in Bildern, ich male Bilder in einen Roman. Ich sitze auf einem Seil, drohe immer wieder abzustürzen in meine eigenen Gefühle, die ich versuche, auf der Leinwand irgendwie zu kanalisieren. Dieses fixieren, jenes festhalten, sonst knallt es in meinem Kopf…. Ein Puzzle im Kopf, im Hirn, in meiner linken Hirnhälfte, in meiner rechten Hirnhälfte. Wo wohnen die Gefühle? Überall machen Sie sich breit, haben eine Flächenausdehnung von tausenden von Quadratkilometern.“
Ich darf Sie nun alle einladen, sich auf die persönliche Sicht von POLA POLANSKI einzulassen, sich den Künstlerinnen und Schriftstellerinnen zu nähern, Ihnen vielleicht den nächsten Buchkauf zu widmen, um eine doch etwas schiefe Sicht der Dinge durch eine Art Gleitsichtbrille zu korrigieren. In diesem Fall hier: die Nahsicht auf mutige, wissende Frauen, die teils durch ihre Entschlossenheit in der männlich geprägten Weltsicht aneckten und darüber manchmal einsam und verstört wurden.
Lassen Sie sich ein in die Welt der sogenannten „Gestörten“, Sie wissen manchmal besser was zu tun ist.
Beide Bücher
44 POWERFRAUEN IN DER KUNST
und
38 POWERFRAUEN IN DER LITERATUR können Sie heute erwerben.
SPECIAL: Sie können heute das Bundle beider Bücher für 50 Euro inklusive Signierung erhalten. Solange Vorrat reicht.
Performance: Hannelore Kober „HERRIN Des HAUSES“
In diesem Sinne – PROST!mmentare
Hihihi, dankeschön, lieber JuerX!
Hallo Pola 🙂 netter Blog! Weiter so und viel Erfolg

Einladung zur Ausstellung „Powerfrauen in Kunst und Literatur:
https://www.interart-stuttgart.de/2024/11/08/pola-polanski-powerfrauen-in-kunst-und-literatur/

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