Schwarzes Wasser

Ich sitze im Flugzeug der Firma Eurowings auf dem Rückflug von Lanzarote und bin in mein Buch „Schwarzes Wasser“ von Joyce Carol Oates vertieft. Die dicke Stewardess in dem schrecklichen hellblauen Kostüm, das ihre Kurven noch mehr betont, reisst mich aus dem Kampf von Kelly Kelleher mit dem Ertrinkungstod nach einem Autounfall. Die Stewardess schaut mich unter dicken schwarzen angeklebten Wimpern an. Sie sind nicht angeschnallt. Kelly Kelleher entdeckt gerade, dass ihr Fuß nicht mehr zu spüren ist. Ich schaue von meinem Buch auf. Die Stewardess ist schon wieder weg. Der bullige Typ neben mir liest in einem Buch über erfolgreiche Vernehmungsfälle. Ein Kriminalbeamter? Meine Gedanken schweifen in den Frühstücksraum des Hotels, in dem wir einquartiert waren. Konstantin erwähnte wie beiläufig, dass die Engländer Meister beim Toasten seien, sie würden ihr Brot doppelseitig toasten und wären so erfahren in der Schlange am Toaster immer ihr Brot wieder zu finden, obwohl, sie es ja wegen dem doppelseitigen toasten immer zweimal in die Maschine geben müssten. Ich lese, wie sich Kelly Kellehers Blut mit dem schwarzen Wasser, dem Sumpfwasser, Brackenwasser mit Öl durchsetzt vermischt. Konstantin beobachtete weiter die Schlange und murmelte unter vorgehaltener Hand zu mir: Der kämpft mit seinem Brot, also kein Engländer. Jetzt kommt die nächste Stewardess. Sie sieht von vorne aus wie ein Monster, ein Opfer einer misslungenen Schönheitsoperation. Ich werfe meine Gedanken Konstantin an den Kopf. Er meint darauf, das sei eine Crew, die auf Kurzflüge abgeschoben werde, bevor sie in Rente dürfe. Kelly Kelleher sieht Lichtflecke, die sich in ihren Schädel wie Krebsgeschwüre bohren. Wir lagen am Pool. Ständig quietschte die Ausgangstür zum Hafen, wenn die Engländer ein- und ausgingen. Und dieses Scharren der Liegestühle, wenn die Engländer Schatten suchten! Ich sagte zu Konstantin, ich könne mich kaum auf meinen philosophischen Text, der gerade von der Relativitätstheorie und Quantenphysik handelte, konzentrieren. Er entgegnete, das sei eine selbstauferlegte Strafe, wenn ich so etwas lesen würde, ich finds schön hier. Darauf murmelte ich mürrisch, nur Rentner. Dabei dachte ich mir, es ist viel zu heiß und ich kann nicht ins Wasser, da mir, sobald ich aus dem Wasser steige, das Wasser aus der Blase einfach so herausfließt, ohne dass ich es kontrollieren könnte. Misslungene Konnisation vor acht Jahren! Abends fiel mir im Hotelzimmer ein Glas mit Rotwein gefüllt auf den Boden. Der ganze Boden war mit Glassplittern übersät. Als Konstantin vom Pool kam, sagte ich ihm, er solle aufpassen. Er meinte, wenn ich schreie, bin ich reingetreten. Kelly Kelleher schwappt das Brackwasser in den Mund, es füllt ihre Lunge und sie müht sich ab, Sauerstoff in das ermattende Hirn zu pumpen. Als Konstantin und ich zum Abendessen mit unserem schlammgrünen Jäger-Mietwagen, der uns beim Einsteigen immer mit einem Piepen begrüßte, fuhren, hatten wir Blick auf den Atlantik. Ich hob meinen Arm. Da, Wale! Er entgegnete, das seien keine Wale, das seien Bojen, Ölflecken oder kleine Riffs. Beim Essen wurde es immer dunkler und dann meinte Konstantin, auf den Atlantik schauend, es sind tatsächlich noch mehrere Riffs im Angebot. Kelly Kelleher quellen die Augen aus den Höhlen. Die Monster-Stewardess, die mir gerade den Tomatensaft serviert hat, sieht von hinten wie ein junges Mädchen aus. Ob wir diesen Flug überleben? Was, wenn das Flugzeug über dem Atlantik abstürzt? Ich lese: „Als das schwarze Wasser ihre Lungen füllte, als sie starb.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert